Warnung vor vorbeugenden Unterlassungserklärungen
Das gemeine Spiel mit der Angst der Abgemahnten
Vor Jahren gab es den Trend, zahlreiche vorbeugende Unterlassungserklärungen abzugeben, wenn ein Abgemahnter eine Abmahnung wegen Filesharings eines Musiksamplers oder einer German Top 100 Single Charts-Datei erhalten hatte. Damit ließen sich, wie man vermutete, weitere, sog. Folgeabmahnungen verhindern.
Mittlerweile bieten die 15 Urteile des Bundesgerichtshofes zum Filesharing ausreichende Rechtssicherheit für Abgemahnte, zum anderen sind die Zeiten von Folgeabmahnungen längst vorbei und das Rechtsinstitut der vorbeugenden Unterlassungserklärung ist teilweise zu einem Geschäftsmodell skrupelloser Rechtsanwälte verkommen.
Was sind vorbeugende Unterlassungserklärungen?
Mit einer Abmahnung verfolgt ein Rechteinhaber in erster Linie seinen Unterlassungsanspruch. Dieser Unterlassungsanspruch wird durch Abgabe einer Unterlassungserklärung, die ein Vertragsstrafeversprechen enthält, erfüllt. Muss man den Verletzer zur Abgabe anwaltlich auffordern, so sind diese Anwaltskosten erstattungsfähig. Diese Kosten kann man sich sparen, wenn man selbst diese Unterlassungserklärung abgibt, bevor der Rechteinhaber seinen Anwalt kostenpflichtig beauftragt. Man kommt mit der eigenen Erklärung der Abmahnung somit zuvor und will eine Abmahnung verhindern.
Wer z. B. im Jahr 2010 eine Abmahnung wegen einer Bravo Hits-Datei erhalten hatte, konnte davon ausgehen, etwa 5 Abmahnungen verschiedener Liedrechteinhaber zu erhalten. Dann hat es sich nach der 1. Abmahnung angeboten, die damals bekannten weiteren Rechteinhaber anschreiben und eine Unterlassungserklärung abzugeben. Diese haben die Sache dann meist auf sich beruhen lassen, so dass es bei der 1. Abmahnung blieb.
Vorbeugende Unterlassungserklärungen lebenslang gültig
Da die vorbeugende Unterlassungserklärung eine ganz gewöhnliche Unterlassungserklärung ist, gilt sie als Dauerschuldverhältnis lebenslang, wie etwa ein Mietvertrag. Das Gefährliche ist jedoch nicht der Unterlassungsteil, sondern die Verpflichtung zur Übernahme einer Vertragsstrafe bei einer zukünftigen Zuwiderhandlung. Diese Vertragsstrafe liegt im Normalfall bei € 5.000,00 pro Verstoß, die der Schuldner an den Rechteinhaber zu bezahlen hat.
Enorme Vertragsstrafen eingeklagt
Ab dem Jahr 2014 wurde in der Abmahnbranche bekannt, dass die Rechteinhaber in zahllosen Prozessen gegen Abgemahnte vorgehen, die – vertreten durch bekannte Anti-Abmahn-Kanzleien – vorbeugende Unterlassungserklärungen abgegeben hatten und hiergegen verstoßen hatten. In der Regel wurde die Abgemahnten zur Zahlung von Vertragsstrafen in Höhe von € 5.000,00 oder sogar € 6.000,00 verurteilt.
Spätestens hier wird klar, warum Rechtsanwalt Matthias Hechler, M.B.A. davon abrät, eine modifizierte Unterlassungserklärung oder eine vorbeugende Unterlassungserklärung an einen Rechteinhaber abzugeben, wenn diese nicht geschuldet sind. Jede Unterlassungserklärung kann nämlich zum finanziellen Verhängnis werden.
Was spricht gegen eine vorbeugende Unterlassungserklärung?
Alles! Dafür spricht aktuell jedenfalls überhaupt nichts mehr, was auch nur annähernd vernünftig wäre.
Im Zweifel weiß man überhaupt nicht, welches Unternehmen die Rechte zur Verbreitung in Deutschland hat. Somit läuft man zum einen Gefahr, sich an den falschen Rechteinhaber zu binden, zum anderen erhält man daher trotzdem eine Abmahnung, weil ihm gegenüber die Wiederholungsgefahr nicht ausgeräumt wurde.
Die Behauptung von Anti-Abmahnkanzleien, man decke mit vorbeugenden Unterlassungserklärung „komplette Bereiche wie Musik, Software, Film/Serie, Erotik, Hörbuch ab“ und könne dadurch „sämtliche Folgeabmahnungen verhindern“ ist falsch und rechtswidrig, insbesondere, wenn behauptet wird, man schicke die Erklärungen „auch an andere Abmahnkanzleien“. Zum einen gibt es in jedem Bereich eine hohe zweistellige Zahl von Rechteinhabern, die zu diesen Preisen nicht annährend abgedeckt werden können, zum anderen ist die Abgabe von vorbeugenden Unterlassungserklärungen gegenüber Kanzleien und nicht deren Auftraggebern wirkungslos, sofern die Rechteinhaber dem nicht zugestimmt haben, was meist nicht der Fall sein sollte.
Keine Ersparnis von ehemals massiven Anwaltskosten: Nach Inkrafttreten des Anti-Abzocke-Gesetzes Ende 2013 sind die potentiell zu sparenden Abmahnkosten von ehemals hunderten von Euro auf € 124,00 geschrumpft.
Des Weiteren muss beachtet werden, dass diese Anwaltskosten nur dann gespart werden können, wenn der Rechteinhaber zum Zeitpunkt der Abgabe der Unterlassungserklärung tatsächlich noch gar keinen Anwalt eingeschaltet hatte. Die Anwaltskosten entstehen nämlich bereits mit der Auftragserteilung.
Daneben kann der Rechteinhaber immer noch beachtliche Schadenersatzansprüche von z. B. € 2.500,00 für 1 Musikalbum oder € 1.000,00 für 1 Film stellen. Die Anwaltskosten für die Eintreibung dieser Ansprüche sind erstattungsfähig und entfallen gerade nicht aufgrund einer vorbeugenden Unterlassungserklärung. Werbliche E-Mail von Anti-Abmahn-Anwälten mit Aussagen wie „wir können damit sämtlichen Folgeabmahnungen von Vornherein die rechtliche Grundlage entziehen, so dass Sie für Filesharings in der Vergangenheit gar nicht mehr abgemahnt werden können. Nach unseren Erfahrungswerten sind Sie dann im jeweiligen Bereich umfassend geschützt“ sind daher nicht nur falsch, sondern auch rechtswidrig.
Insolvenzrisiko durch vorbeugende Unterlassungserklärungen
Das gewichtigste Argumente gegen vorbeugende Unterlassungs-erklärungen ist mit Abstand das ganz enorme finanzielle Risiko von Vertragsstrafenzahlungen, das in keinem Verhältnis steht mit den € 124,00, die man sich eventuell sparen kann. die lebenslange Bindung an diesen Unterlassungsvertrag mit Vertragsstrafenrisiko: Insbesondere, wer gar nicht weiß, wer das Filesharing betrieben hat und somit die Quelle nicht abstellen kann, sollte keine Unterlassungsverpflichtung abgegeben. Dies kommt einem Kopfsprung in ein unbekanntes Gewässer gleich.
Fazit:
Ich kann vor der Abgabe von vorbeugenden Unterlassungserklärungen nur warnen. Diese haben im Jahre 2015 im Filesharing-Bereich keinerlei Nutzen mehr, der im Verhältnis zu dem Risiko steht, das man mit dem Vertragsstrafeversprechen eingeht.
Der Versand von vorbeugenden Unterlassungserklärungen sollte nur dann in Betracht gezogen werden, wenn ganz konkreter Anlass dazu besteht, also die Gefahr von Folgeabmahnungen geradezu zwangsläufig ist.